Quantified Self – Das vermessene Selbst

Der Trend zur Selbstverdatung greift um sich. Die Quantified Self Bewegung – Slogan: self knowledge through numbers – gibt es inzwischen nicht mehr nur im Gründungsland Amerika. Lokale Gruppen treffen sich auf allen Kontinenten, um Wissen und Ressourcen zu teilen und gemeinsame Positionen zu entwickeln. Ziel von Quantified Self ist es, mittels Self-Tracking per digitalen Mobilgeräten und Sensorik anwendbares Wissen über den eigenen Körper, seine Rhythmen und Routinen zu gewinnen (z.B. über die kontinuierliche Messung von Puls, Blutdruck und Temperatur). Dahinter steht ein Bedürfnis nach Selbstoptimierung und Selbsterkenntnis unabhängig von Expertenmeinungen.

Das Projekt ist durchaus vergleichbar mit dem hellenistisch-römischen Konzept der Selbstsorge, wie es Foucault u. a. am Beispiel von Mark Aurels Selbstbetrachtungen beschrieben hat, nur dass eben Daten und deren Auswertung eine prominente Rolle in dieser Praxis der Lebensführung spielen. Der große Vorteil der zeitgenössischen ‚Selbsttechnologien’ ist dabei die automatisierte Erfassung von Abläufen, die der bewussten Reflexion üblicherweise entgehen, z.B. Schlafzyklen, Verdauung und ähnliche physiologische Prozesse.

Es gibt unmittelbar einleuchtende Anwendungskontexte wie bspw. das Teilen von Daten zu Krankheitsverläufen und die Verwendung im Sport- und Gesundheitsbereich. Mitglieder der Quantified Spouse Initiative machen sich um das Tracking ihres Liebeslebens bemüht, z.B. die Intensität und Häufigkeit von Orgasmen. Die verlässliche Objektivität der Daten dient dabei als Grundlage für emotionsbefreite Kommunikation und Konfliktresolution (eine vergleichbar demokratisierende und ermächtigende Funktion erfüllte historisch das Fieberthermometer in der Kommunikation zwischen Arzt und Patient).

Die Implikationen für Datenschutz und Privatsphäre sind offensichtlich und werden bereits ausgiebig diskutiert, fast interessanter aber erscheint ein Aspekt, der eng verbunden ist mit dem Moment der datengetriebenen Selbstführung. Mat Honan klagt in der Wired darüber, dass health-tracking devices ihren Job nicht gut genug machten, weil sie keine konkreten Handlungsempfehlungen lieferten.

I need more than feedback; I need a plan. […] It [the device, T. K.] should give advice that’s actually useful, like „Go for a 3-mile run at an eight-minute-mile pace. Then eat some fish — you need protein.“

Diese Haltung ist bedenkenswert. Können Daten die Verantwortung für den eigenen Körper und möglicherweise Intersubjektivität ersetzen? Kann weiter gefragt die Medienwissenschaft einen Beitrag leisten zum Verständnis eines Umgangs mit Daten, der über die Themen Erfassung, Auswertung und Visualisierung hinausgeht und ihre zunehmende Verflechtung mit Lebenspraxis fokussiert? Welche Transformationen durchläuft das Wissen über den menschlichen Körper im Zuge seiner umfassenden Quantifizierung jenseits des medizinischen Diskurses?